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de ich sagen, daß ich auf einer Straße fahre, die mei-
nem Leben gleicht: nichts als Schlaglöcher, Steine und
Schwierigkeiten. Ich kannte einen Schriftsteller, der
die Meinung vertrat: jeder hat das Leben, das er ver-
dient. Geradeso als würde man behaupten, daß ein Ar-
mer verdient, arm zu sein, ein Blinder verdient, blind
zu sein. Er war ein dummer Mensch, obwohl er ein in-
telligenter Schriftsteller war. Auch die Linie, die Intel-
ligenz und Dummheit scheidet, ist so überaus brüchig,
du wirst es merken. Reißt dieser dünne Faden, ver-
mengt sich nämlich beides wie Liebe und Haß und Le-
ben und Tod, ob du nun ein Mann oder eine Frau bist.
Von neuem frage ich mich, ob du Mann oder Frau bist,
und jetzt wünschte ich, du wärst ein Mann. So hättest
du nicht das monatliche Blut, würdest dich eines Tages
nicht schuldig fühlen, weil du auf einer Straße voller
Schlaglöcher und Steine fährst. Es wäre dir nicht übel
wie mir in diesem Augenblick, und dein Emporsteigen
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ins Blau wäre viel echter als meines: denn meine müh-
samen Flugversuche geraten doch nie besser als das
Auffl attern eines Truthahns. Jene Frauen, die ihren Bü-
stenhalter verbrennen, sie haben recht. Haben sie recht?
Keine von ihnen hat eine Methode entdeckt, wonach es
mit der Welt nicht zu Ende geht, wenn sie keine Kin-
der kriegen. Und Kinder werden nun einmal von Frau-
en geboren. Ich kenne eine utopische Geschichte über
einen Planeten, wo man zu siebt sein muß, um sich zu
vermehren. Aber es ist sehr schwer, daß sich sieben zu-
sammenfinden, und es ist noch schwerer, daß sie sich
einig werden, weil die Schwangerschaft und nicht nur
die Empfängnis alle sieben miteinbezieht. Darum stirbt
auch die Gattung aus und der Planet entvölkert sich.
Ich kenne noch eine andere Geschichte, wo der Prot-
agonist nichts weiter als eine alkalische Lösung oder
auch nur ein Glas Wasser mit Salz benötigt. Er springt
hinein und hoppla! sind es zwei. Es handelt sich um
eine normale Zellteilung, und wenn sich der Protago-
nist teilt, hört er im nämlichen Augenblick auf, er selbst
zu sein: er begeht so etwas wie einen Selbstmord seines
Ichs. Aber er stirbt nicht und leidet nicht neun Mona-
te Höllenqualen. Höllenqualen? Für einige Frauen sind
das neun Monate Ruhm und Glorie. Am besten ist im-
mer noch die Lösung, von der ich anfangs gesprochen
habe. Man nimmt den Embryo aus dem Körper der
Mutter und verpflanzt ihn in den Körper einer ande-
ren Frau, die bereit ist, ihn aufzunehmen, die geduldi-
ger, großmütiger ist als ich & Ich glaube, ich habe Fie-
ber. Die Krämpfe haben wieder eingesetzt. Ich muß sie
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verdrängen. Aber wie? Am besten wahrscheinlich, in-
dem ich an etwas ganz anderes denke. Ich könnte dir
ein Märchen erzählen. Ich habe dir schon so lange kei-
ne Märchen mehr erzählt. Also gut.
Es war einmal eine Frau, die hätte gar zu gern ein
Stückchen Mond gehabt. Nein, nicht einmal ein Stück-
chen: ein bißchen Staub hätte ihr schon genügt. Das war
kein unerfüllbarer und noch viel weniger ein absurder
Wunschtraum. Sie kannte die Männer, die zum Mond
flogen, was damals große Mode war. Die Männer star-
teten von einem Punkt der Erde, der nicht weit von hier
ist, in kleinen eisernen Schiffen, die an der Spitze einer
ganz hohen Rakete befestigt waren; und jedesmal wenn
eine Rakete dröhnend und feuerspeiend wie ein Komet
in den Himmel schoß, war die Frau sehr glücklich. Sie
rief der Rakete nach: »Flieg, flieg, flieg!« Dann verfolgte
sie bangend und eifersüchtig die Reise der Männer, die
drei Tage und drei Nächte in die Dunkelheit flogen.
Die Männer, die zum Mond flogen, waren dumme
Männer. Sie hatten dumme steinerne Gesichter und ver-
standen weder zu lachen noch zu weinen. Für sie war der
Mond ein wissenschaftliches Projekt und nichts weiter,
eine Errungenschaft der Technologie. Unterwegs sagten
sie nie etwas Schönes, immer nur Zahlen und Formeln
und langweilige Informationen, und wenn sie mal et-
was Menschliches hineinbrachten, dann waren es bloß
Erkundigungen nach einer Football-Mannschaft. Als
sie dann auf dem Mond waren, wußten sie noch weni-
ger zu sagen. Allenfalls sprachen sie zwei, drei vorfabri-
zierte Sätze, pflanzten dann eine blecherne Fahne auf
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und vollführten mit dem Gehabe von Automaten eine
Zeremonie von abgedroschenen Gesten. Nachdem sie
den Mond mit ihren Ausscheidungen besudelt hatten,
die dort blieben, um den Besuch des Menschen zu be-
weisen, flogen sie wieder ab. Die Exkremente waren in
Büchsen verschlossen, die Büchsen blieben da mit der
Fahne, und wenn du davon wußtest, konntest du den
Mond nicht mehr ansehen, ohne dir zu sagen: »Da oben
sind auch ihre Exkremente.« Schließlich kamen sie mit
einer Menge Steinen und Staub wieder zurück. Mond-
gestein, Mondstaub. Der Staub, den sich die Frau er-
träumte. Als sie die Männer wiedertraf, bettelte sie, bet-
telte ich: »Gibst du mir ein bißchen was vom Mond?«
Doch sie antworteten jedesmal: Das-geht-nicht-das-ist-
verboten. Alles vom Mond endete in den Labors und
auf den Schreibtischen von Leuten, für die der Flug zum
Mond nur ein wissenschaftliches Unternehmen war und
eine Errungenschaft der Technologie. Es waren dumme
Männer, weil es Männer ohne Seele waren. Doch einer
war darunter, der mir besser zu sein schien. Er konnte
nämlich lachen und weinen. Ein häßlicher kleiner Mann
mit Zahnlücken und mit einer großen Angst. Um die-
se Angst zu vertuschen, lachte er und trug komische
Hüte, die ihm, ja wirklich, ein bißchen Seele verliehen.
Aus diesem Grund und weil er wußte, daß er den Mond
nicht verdiente, war ich gut freund mit ihm. Wenn er
mir begegnete, knurrte er: »Was soll ich da oben sagen?
Ich bin kein Dichter, ich kann keine schönen, tiefsinni-
gen Sachen sagen.« Einige Tage vor seinem Abflug zum
Mond kam er, um sich von mir zu verabschieden und
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mich zu fragen, was er auf dem Mond sagen sollte. Ich
antwortete, er solle etwas Wahres, Ehrliches sagen, etwa,
daß er ein kleiner Mensch voller Angst sei, weil er eben
ein kleiner Mensch sei. Das gefiel ihm, und er beteuerte
hoch und heilig: »Wenn ich wieder da bin, bekommst
du von mir ein bißchen Mond. Mondstaub.« Er flog ab
und kam wieder. Aber er kam verändert wieder. Jedes-
mal, wenn ich ihn anrief, um ihn an sein Versprechen
zu erinnern, gab er mir ausweichende Antworten. Dann
lud er mich eines Abends zu sich zum Essen ein, und
ich eilte hin, weil ich dachte, er wollte mir endlich den
Mond geben. Beim Essen war ich ganz ungeduldig, es
nahm überhaupt kein Ende. Als es dann doch endlich
zu Ende war, sagte er: »Jetzt zeige ich dir den Mond.«
Er sagte nicht: »Jetzt gebe ich dir den Mond«, er sag-
te: »Jetzt zeige ich dir den Mond.« Doch ich beachtete
den Unterschied nicht. Er trug immer noch seine komi-
schen Hüte, lachte immer noch sein komisches Lachen,
ich ahnte nicht, daß er im Himmel auch das Quentchen
Seele verloren hatte, das ich ihm noch zuerkannte.
Augenzwinkernd führte er mich in sein Arbeitszim-
mer. Er spielte auffällig mit einem Schlüssel herum und
öffnete einen Schrank. Darin befanden sich verschiede-
ne Dinge: eine Art Spaten, etwas wie eine Hacke und ein
Rohr. Dies war alles von einem sonderbaren silbergrau-
en Staub bedeckt. Mondstaub. Ich bekam heftiges Herz-
klopfen. Und mit heftigem Herzklopfen streckte ich die
Hand aus und ergriff behutsam den Spaten. Es war ein
leichter Spaten, fast ohne Gewicht, und der Staub war so
etwas wie Puder, ein silberner Schleier, der an der Haut
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wie eine zweite Silberhaut haften blieb, und ich kann dir [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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