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»Aber wenn überhaupt, dann hat er Nelly nicht körperlich gequält,
dann hättest du vielleicht Recht, sondern höchstens psychisch unter
Druck gesetzt«, gab Muschalik zu bedenken.
»Na und? Alles ist immer irgendwie psychisch«, sagte Lise Becker.
»Ja, mag sein, aber ich glaube nicht, dass ein Bär das bemerken
würde.«
»Nicht irgendein Bär«, sagte Lise Becker und schüttelte den Kopf,
»aber ihr Bär.
»Vielleicht hast du Recht.«
»Natürlich habe ich Recht. Aber außer dir hört mir hier keiner zu.«
Kraft hatte die beiden beobachtet, vom einen zum anderen gesehen
und sich an dem Gespräch nicht beteiligt.
Lise Becker wollte Muschaliks Hand nicht loslassen, als er sich ver-
abschiedete: »Solange der Fall nicht abgeschlossen ist, kommst du
wenigstens manchmal vorbei. Das ist das Gute daran.«
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»Ich weiß nicht, ob das gut für ihn ist«, meldete sich Kraft und hielt
Muschalik die Tür auf.
Als sie den langen Flur hinunter zum Ausgang gingen, fiel Muscha-
lik auf, dass an seiner ehemaligen Bürotür immer noch nicht Krafts
Namensschild hing.
»Das ist Niemandsland«, sagte Kraft, »geh ruhig hinein. Es ist nicht
mehr deines und noch nicht meines. Ich mag nichts daran ändern, so-
lange du noch arbeitest.«
Für einen kurzen Augenblick setzte Muschalik sich auf den aus-
geleierten Drehstuhl, legte seine karierte Schirmmütze auf den
Schreibtisch neben den neuen Computer und sah aus dem Fenster.
Der Blick hinaus weckte Erinnerungen. Aber sie stimmten ihn nicht
wehmütig. Hier wollte er um keinen Preis noch einmal sitzen – und
womöglich zusammen mit einem Computer. Der Fall Nelly Luxem war
ihm wie eine ungebetene Zugabe in den Schoß gefallen, ein Überhang
sozusagen. Er hatte seinen Beruf mit seinem Hobby verbinden
können, als sollte ihm sein Neuanfang so leichter gemacht werden. Ein
Bein in der Vergangenheit und eines in der Zukunft, ein fast unmög-
licher Spagat. Er hätte besser einen richtigen Schnitt machen sollen,
zwischen seinem alten und seinem neuen Leben.
Nicht alles ließ sich planen.
»Vielleicht lass ich alles, wie es ist«, hörte er Kraft sagen.
20. Kapitel
Noch in derselben Nacht flog ein rot gepunkteter, honiggefüllter
Kinderball in das Revier des Grizzly. Er rollte über den Boden und
blieb an einem Felsbrocken hängen.
Träge kroch der Grizzly nach einer Weile aus seiner Höhle. Muscha-
lik sah seinen riesigen Schatten suchend durch das Gehege streifen. Er
grunzte und schnaufte, er hatte Witterung aufgenommen und folgte
der Spur. Als er auf den Ball stieß, nahm er ihn zwischen beide Tatzen
und drückte eine ordentlich Portion der klebrigen Köstlichkeit heraus.
Der Ball gab mit blubbernden Geräuschen die zähe Flüssigkeit von
sich. Dann wurde der Bär wild, raste vor Wonne und tobte mit dem
Ball durch sein Revier. Er nieste und schnaubte und war ganz irre vor
Freude über das nächtliche Dessert. Noch nie hatte Muschalik den
Grizzly so beweglich und übermütig gesehen. Als der Ball ins Wasser
rollte, warf er sich ohne zu zögern in die Wellen und rettete das kost-
bare Gefäß an Land.
Muschalik sah sich um. Gegenüber auf der Riehler Straße leuchtete
die Weltkugel des H.A. Schult. In einigen Fenstern auf der Stamm-
heimer Straße brannte Licht. In dieser Ecke von Köln gibt es kein
Nachtleben, auch nicht in einer Samstagnacht. Aber irgendjemand ist
immer wach. Im nächsten Augenblick löste sich ein Schatten aus der
Dunkelheit. Sie stand plötzlich neben ihm, er hatte ihre Schritte nicht
gehört.
»Ich bin froh, Sie zu sehen«, sagte er erschrocken und erleichtert
zugleich, »wo waren Sie nur die ganze Zeit?«
»Tagsüber am Rhein und nachts hier«, sagte sie.
Und als er ihr von den Nachtwachen erzählte, sagte sie: »Ich weiß.«
»Sie haben uns beobachtet?«
»Ich war in seiner Höhle.«
»Sie haben in seiner Höhle geschlafen?«, fragte Muschalik entsetzt.
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»Ja, natürlich.«
Muschalik fand es absolut nicht natürlich, in einer Grizzly-Höhle zu
schlafen. Da würde er lieber unter den Rheinbrücken nächtigen oder
auf der Domplatte, überall. Nur nicht Seite an Seite mit einem über
400 Kilogramm schweren Koloss, der nicht gut sehen und hören kann.
Und der manchmal aus Versehen Menschen tötet.
»Wie lange kennen Sie Kaspar schon?«, fragte Muschalik.
Sie stolperte nicht über den Namen Kaspar.
»Seit über zwölf Jahren.«
»Der Ball ist mit Honig gefüllt«, erklärte er stolz und hoffte, dass sie
fragen würde, wie ihm das gelungen sei, aber er wartete umsonst.
»Er liebt Honig.« [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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